
Verleger Jürgen Wessel - ein Mann der leisen Töne
So überschrieben die Lübecker Nachrichten den Artikel zum 80. Geburtstag von Jürgen Wessel am 15. September 2003. Damit dürfte der Verleger und Herausgeber der Zeitung treffend charakterisiert worden sein. Er war erfolgreich, dennoch hanseatisch bescheiden und mied das grelle Licht der Öffentlichkeit soweit möglich.
Die Anfangsjahre
Im Verlag und der Druckerei des Vaters im Lübeck benachbarten Stockelsdorf wuchs er mit Geruch von Papier und Druckerschwärze auf. Aber in einer Zeit geprägt von galoppierender Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und dem Beginn des Regimes der Nationalsozialisten war an eine Verlegerkarriere zunächst nicht zu denken. Deshalb wollte er Chemiker werden und hatte nach dem Schulabschluss eine Anstellung im Laboratorium des Lübecker Hochofenwerkes gefunden. Doch dann musste er mit gerade 19 Jahren in den 2.Weltkrieg ziehen. In zwei harten Wintern in Russland erlebte er alle Schrecken des Krieges. Eine Fügung des Schicksals sollte ihn nach Frankreich verlegen, wo er 1944 in amerikanische Gefangenheit geriet.
Die Rückkehr in die Heimatstadt
Anfang 1947 kehrte er in seine geliebte Heimatstadt Lübeck zurück, die noch von den schweren Schäden des Bombenangriffs von 1942 gekennzeichnet war. Er litt schwer an den grausamen Erlebnissen des Krieges, die er bis zuletzt nicht vollständig verdrängen oder verarbeiten konnte.
Und dennoch sollte er über ein halbes Jahrhundert die Lübecker Zeitungslandschaft in verantwortungsvoller Position sehr erfolgreich mitgestalten. Sein Vater Claus Wessel, Leonhard Ehrlich, Heinz Eckholdt und Johannes Möller erhielten am 28. März 1946 die Lizenz für die Lübecker Nachrichten (LN), deren erste Ausgabe am 3. April 1946 erschien. Während Möller und Eckholdt später wieder aus dem Verlag ausschieden, erhielt 1950 Robert Coleman die Lizenz zur Herausgabe des Lübecker General-Anzeigers und gründete mit Claus Wessel und Leonhard Ehrlich die Lübecker Nachrichten GmbH, in der die Zeitung seither mit dem Zusatz „General-Anzeiger“ erscheint.
1968 und 1970 folgten die Söhne ihren Vätern in den Verlag, so auch Jürgen Wessel im Jahr 1968 bis 2006.
Als Verleger, Mitherausgeber und Geschäftsführer der LN lag ihm sowohl eine positive Entwicklung der Zeitung als auch generell die Förderung der Zeitungsverlage und des Journalismus am Herzen. So gehörte er von 1977 für acht Jahre dem Deutschen Presserat an und wurde 1978 zum Vorsitzenden des schleswig-holsteinischen Zeitungsverleger-Verbandes berufen. Die Ausbildung des journalistischen Nachwuchses förderte er als Kuratoriumsmitglied der Hamburger Akademie für Publizistik. Für sein am Gemeinwohl orientiertes Handeln wurde ihm zu seinem 60. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Margot Wessel
Herausragende Ereignisse
Zu den besonderen Ereignissen in seiner Zeit als Mitherausgeber der LN zählen der 100jährige Geburtstag der Zeitung am 16. September 1982, das Richtfest für das neue Verlagsgebäude am 27. September 1990, die Grundsteinlegung für den Neubau des LN-Pressehauses in der Lübecker Innenstadt, Sitz der Lokalredaktion, nur einen Steinwurf entfernt vom Lübecker Rathaus. Von besonderer Bedeutung für den LN-Verlag war der Erwerb der Rostocker Ostsee-Zeitung von der Treuhand. Diese Zeitung ist heute zu 100 Prozent im Besitz der LN.
Weitsichtig erkannte der Verleger Wessel früh den rasanten Umbruch in der Zeitungslandschaft in Deutschland. Wirtschaftliche Stabilität kann nur in einem größeren Verbund sichergestellt werden, war seine Meinung, die er auch konsequent durchsetzte und sich selbst von einigen LN-Anteilen trennte. So kam es 1971 zur Beteiligung des Springer-Verlags an den LN.
Diese Beteiligung dauerte bis 2009, als Springer sich von fast allen Printmedien trennte. Seitdem hält die Madsackgruppe in Hannover die Mehrheit an der LN-GmbH.
Als Wessel am 14. Dezember 2006 in Lübeck starb, hinterließ er ein handschriftliches Testament. Darin bestimmte er die Gründung von zwei Stiftungen. Die „Margot und Jürgen Wessel Stiftung“, die den wesentlichen Teil seines privaten Vermögens erhielt und die „Jürgen Wessel Stiftung“, die mit seinem betrieblichen Vermögen ausgestattet wurde, im Wesentlichen ein Anteil von 24 Prozent an der LN-GmbH. Die Stiftung verkaufte diesen Anteil mit Wirkung zum 1. Januar 2015 an den Verleger Heinrich von den Kieler Nachrichten (Dieser Verkauf erfolgte vorbehaltlich der Genehmigung des Bundeskartellamtes).
Die beiden Wessel Stiftungen erhalten auf Dauer das Lebenswerk von Jürgen Wessel und setzen eine Tradition fort, die er viele Jahre gepflegt hat: Das Spenden an viele Institutionen in seiner Heimatstadt Lübeck und in der Region, die zum Wohle von Forschung, Bildung, Jugendhilfe und die Bewahrung des Heimatgedankens wirken.
Text von Hans-Jochen Arndt